Tobias Nicklas, «Literarkritik und Leserrezeption. Ein Beitrag zur Methodendiskussion am Beispiel Joh 3,22–4,3», Vol. 83 (2002) 175-192
Classical literary criticism combines the synchronic study of a text’s structure for a possible breakdown in logic with conclusions regarding the diachronic-oriented inquiry into possible literary pre-stages of the text under examination. Without questioning the importance of this method, the present study wants to point out a further connection, which can arise from the recognition of ruptures in the logic of a text. Tensions, breaks, contradictions, doublings, etc. can also be regarded as "disturbances in the reading event" and as such have repercussions for the reception on the text by the "implicit reader". This thesis is put into concrete terms on the basis of John 3,22-4,3 and is explained by means of other examples.
(7) Zwischen den VV. 30 und 31 tut sich ein Bruch auf. Die in VV. 27-30 thematisierte Opposition zwischen dem Täufer und Jesus scheint verlassen, der Blick wird — in joh Offenbarungssprache — nun auf den, der "von oben kommt", sein Verhältnis zum Vater und die soteriologischen Konsequenzen dessen gerichtet.
(8) 3,26 und 32 stehen zueinander in Spannung.
(9) 4,2 widerspricht nicht nur 3,22, er unterbricht auch den syntaktischen Zusammenhang zwischen 4,1 und 3.
3. Der Weg des "impliziten Lesers"30 durch die Welt des Textes
3,22-24. Nach der konfliktreichen Folge von Jerusalemszenen (2,13–3,21), die den Leser mit etlichen existenziellen Fragestellungen konfrontierte31, bedeutet V. 22 einen Neueinsatz, wie durch die bereits aus 2,13 bekannte unbestimmte Zeitangabe meta_ tau=ta signalisiert wird. Die Imperfekte die/triben und e)ba/ptizen, welche andeuten, dass Jesus und seine Jünger über einen längeren Zeitraum dieselbe Tätigkeit ausführen, verweisen auf eine Phase relativer Ruhe. Das bapti/zein Jesu wirft aber Fragen auf: Ein solches Tun war ja schon in 1,33 vorhergesagt worden — als ein "Taufen im Heiligen Geist", das gleichzeitig der "Wassertaufe" durch Johannes (1,26.31.33) kontrastiert wurde. Doch dies ist nicht die einzige Verbindung zu bisher Gesagtem: So sprach auch 3,5 von der "Wiedergeburt aus Wasser und Geist". Die lapidare Art der Darstellung in 3,22 — bloße Verwendung des Verbums bapti/zein — konfrontiert den Leser aber bereits jetzt mit der Frage, ob hier schon diese christliche Form der Taufe gemeint sein kann. Schwierigkeiten bereitet auch die Ortsangabe. Dass Jesus ei)j th_n 'Ioudai/an gh=n geht, stellt ja gleichzeitig einen Bezug zu den Aussagen über den Aufenthalt Jesu in Jerusalem (2,13.23) her. Problematisch daran ist allerdings, dass Jerusalem — als Hauptstadt — natürlich Teil Judäas ist und der Weg Jesu sozusagen von Judäa nach Judäa führen würde. Die Tendenz, die Wendung ei)j th_n 'Ioudai/an gh=n als "into the Judaean countryside"32 zu interpretieren, mag sich diesem offensichtlichen Widerspruch verdanken.