Martin Rösel, «Wie einer vom Propheten zum Verführer wurde. Tradition und Rezeption der Bileamgestalt», Vol. 80 (1999) 506-524
The article attempts for the first time to trace the tradition of the seer Balaam (Num 2224) with the aid of questions asked by reception history. In contradistinction to previous works it becomes clear in this way that the differing positive or negative presentation of the figure of Balaam in texts dependent on Num 2224 can be explained above all by the attitude of the relevant recipient to the problem of the foreign in relation to the people of God. It becomes apparent that the method of reception history presents a significant supplement to exegetic tools, that makes possible fresh historical insights into the content and effect of biblical texts.
I. Bileam - der erste Prophet
Zieht man beim Lesen der Bibel mit den Erzvätern zuerst durch das Land Kanaan, dann nach Ägypten und schließlich unter Moses Führung wieder hinaus aus dem Sklavenhaus hin zum Sinai und dann weiter Richtung Israel, so fällt auf, daß es zu dieser Zeit noch keine Propheten gibt. Zwar wird gelegentlich Abraham als Prophet benannt (Gen 20,7), und es gibt sogar eine Prophetenfamilie, nämlich die des Mose. Sowohl sein Bruder Aaron (Ex 7,1) als auch seine Schwester Mirjam (Ex 15,20) gelten als Propheten ()ybn/h)ybn), ebenso auch Mose selbst, dies allerdings erst am Ende seines Lebens (Dtn 18,15+34,10)8. Doch anders als man es aus späteren Phasen der Geschichte Israels kennt, teilt Gott in dieser Epoche seine Befehle wie seine Weissagungen direkt an die Führer des Volkes und der Sippe mit9. Die Ausnahme ist Bileam, und bereits das macht meines Erachtens diese Figur so interessant.
Der Bericht in den Kapiteln 2224 des Numeribuches ist mit dem Kontext nicht weiter verknüpft; wenn man ihn entfernen würde, wäre sein Fehlen wohl nicht zu bemerken10. Kurz zusammengefaßt, wird folgendes berichtet: Nachdem das Volk Israel in Ägypten aufgebrochen, zum Sinai gezogen war und dort die Weisungen Gottes empfangen hatte, bricht es erneut auf (Num 10) und versucht, auf direktem Wege nach Kanaan zu ziehen. Doch die Edomiter verweigern die Passage (Num 20,14-21). Daher muß die Gruppe nach Osten ausweichen und versuchen, über den sogenannten Königsweg zu ziehen. Das gelingt, indem man gegen die Könige Sihon und Og kämpft und das Land der Amoriter im heutigen Jordanien einnimmt. Verständlich, daß Balak, der moabitische König im Jordangraben, davon nicht begeistert ist und nach Wegen sucht, wie er gegen die Gefahr angehen kann.
Hier nun wird Bileam in die Szenerie eingeführt. Er, der nach den