Edgar Kellenberger, «Gottes Doppelrolle in Ijob 16», Vol. 90 (2009) 224-236
Job’s excessive plaint against his aggressive and hostile God is intertwined with his surprising confession of confidence (“Bekenntnis der Zuversicht”). It seems to be a special relationship between these two poles which are forming quasi two focuses of an ellipse. This article studies in ch. 16 (and 19) each pole and especially their interrelation in contrast to mitigating tendences in the ancient versions and the rabbinic exegesis. The mythic language of Job’s lament is compared with similar accadian literature for demonstrating both analogies and important differences. The author of the Book of Job uses especially the language of the mythic struggle against chaos (“Chaoskampf”) for his peculiar view of the dialectics in God.
Gottes Doppelrolle in Ijob 16 233
Während wir also in der frühen Rezeptionsgeschichte der Ijob-
Dichtung vergeblich nach einer Spannung zwischen den obigen beiden
Brennpunkten suchen, so finden wir andrerseits in altorientalischen
Texten durchaus ein Spannungsverhältnis zwischen dem “feindlichenâ€
und dem “rettenden†Aspekt einer Gottheit. Den hier begegnenden
Ähnlichkeiten und Unterschieden zur Ijobdichtung soll nun
nachgegangen werden. Dabei sind einerseits die akkadischen Gebete
und Gebetsbeschwörungen sowie andrerseits Dichtungen wie z.B.
“Ludlul bˇl nˇmeqi†und die so genannte “Babylonische Theodizee†zu
betrachten.
Zunächst fällt auf, dass vorwurfsvolle Anklagen an die Gottheit in
Mesopotamien nicht üblich sind (35). Zwar sind den betenden
Menschen die Erfahrungen einer aggressiv-zerstörerischen Gottheit
geläufig. Wenn die Gottheit als Subjekt solcher leidvoller Erfahrungen
genannt wird, geschieht dies jedoch nicht in Form von Klagen, sondern
ausschliesslich in hymnischen Formulierungen. Dabei erscheinen die
zornig-vernichtenden und die wohlwollend-helfenden Aktivitäten
derselben Gottheit häufig nebeneinander im gleichen Text. Vor allem
in Texten der Marduk-Frömmigkeit kann die Schilderung gegen-
sätzlicher Charakterzüge in bewusster Symmetrie formuliert
werden (36). Das bekannteste Beispiel ist der 40-zeilige Hymnus, der
die Dichtung “Ludlul bˇl nˇmeqi†eröffnet, wobei sich der Lobpreis
des Zorns und der Hilfe von Zeile zu Zeile abzuwechseln pflegt (37).
Dadurch erhalten die gegensätzlichen Aspekte der ambivalenten
Gottheit eine Gleichwertigkeit (38), die letztlich ein Span-
(35) W.R. MAYER, Untersuchungen zur Formensprache der akkadischen
“Gebetbeschwörungen†(Rom 1976) 106-108 kann nur ganz wenige Belege
nennen, die jedoch gemässigter sind als die Formulierungen in den alttesta-
mentlichen Psalmen. — Die Dichtung “Ludlul bˇl nˇmeqi†vermeidet tunlichst
jeglichen Vorwurf an Marduk.
(36) Anders verhält es sich bei Ischtar, deren gegensätzliche Aspekte ohne
logische Verbindung genannt werden. Beispiele in B. GRONEBERG, Lob der IÏ€tar.
Gebet und Ritual an die altbabylonische Venusgöttin (CM 8; Groningen 1997).
(37) Ein interessantes Beispiel ist auch der in Ugarit gefundene akkadische
Marduk-Hymnus (R.S. 25.460), der aussergewöhnlicherweise in TUAT zweimal
übersetzt wird (III 140-143 durch W.v. Soden; II 823-826 durch M. Dietrich);
bezeichnend sind die gegensätzlichen Titel durch die Übersetzer: “Klage eines
Dulders mit Gebet an Marduk†(V. Soden) bzw. “Lobgesang auf die Heilkunst
Marduks†(Dietrich).
(38) So auch M. FRANZ, Der barmherzige und gnädige Gott. Die Gnadenrede
vom Sinai (Exodus 34,6-7) und ihre Parallelen im Alten Testament und seiner
Umwelt (BWANT 160; Stuttgart 2003) 56.