Ulrich Victor, «Was ein Texthistoriker zur Entstehung der Evangelien sagen kann», Vol. 79 (1998) 499-514
In view of the New Testament manuscript evidence, the gospels never had an editorial history. The gospels were composed in the form in which they exist today. There was consequently never an Ur-Markus, an eschatological Ur-Johannes etc. There are no indications that the gospels are based on a longer or shorter creative theological and literary community tradition of very numerous units circulating orally or in writing. Such a tradition would have been reflected in so large a number of important textual variants that clear traces would have remained.
miteinander in keinem Stück berührenden Stellen so zu verbinden, wäre gewiß niemandem nachträglich eingefallen" 10.
Im Fall von Nr. 3 gibt es keinen Grund, die eine gegenüber der anderen Fassung abzuwerten. Ich stimme sowohl Ropes als auch Jeremias zu, die beide Nr. 3a als eine selbständige, von Markus unabhängige Fassung der Geschichte vom reichen Jüngling ansehen 11. Unter dem Gesichtspunkt der literarischen Qualität wäre der knappe Schluß von 3a dem überaus wortreichen von 3b vorzuziehen 12.
Ich komme zum eigentlichen Anlaß dieses Vergleichs: Die verschiedenen Fassungen unterscheiden sich u.a. durch Erweiterung des Personals (1; 2), (genauere) Benennung einer anonymen Person (5;7), Erweiterung des Redeteils (1a; 1b; 2; 3; 6a; 7), Verkürzung des Redeteils (1a; 1b; 6b), Veränderung des Ortes (4), zusätzliche Ortsangaben (5; 6; 8), Änderung des Sprechers (4), Umwandlung des Monologs in einen Dialog (7), (gewichtige) Erweiterung der Erzählung (5; 6b). Bei diesen acht Einzelstücken lassen sich demnach wenigstens 19 höchst gewichtige Unterschiede feststellen, und zwar in gleichem Maße in den Stücken der evangelischen wie in denen der nicht-evangelischen Tradition. Solche Veränderlichkeit von literarischen Einzelstücken ist als eine Konstante einer nicht-kanonisierten Überlieferung anzusehen, und sie gilt a fortiori unter den Bedingungen einer hypothetischen per definitionem nicht nur tradierenden, sondern selbständig gestaltenden "Gemeindetheologie". Vergleichbare Unterschiede zueinander und zum überlieferten Text der Synoptiker müßten sich in jenen Einzelstücken gefunden haben, die die Form- und die Redaktionsgeschichtler als Quellen der synoptischen Evangelien glauben erschließen zu können, da die "Gemeindetheologie" ja der Weg ist, an dessen Ende erst die Kanonisierung steht. Wenn sie Recht hätten, müßten also Hunderte von gewichtigen Varianten zum überlieferten Text der Synoptiker