Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung 19 sie, wenn es sich denn in der Tat um Schülerworte handelt, als not- wendige Weiterentwicklung der Lehre des Meisters mit um so größe- rer Aufmerksamkeit hören: Sucht Gutes und nicht Böses damit ihr lebt! Dann wird JHWH […] (62) mit euch sein, wie ihr sagt. Haßt Böses und liebt Gutes, und richtet im Tor Recht auf! Vielleicht wird JHWH […] (62) gnädig sein dem Rest Josephs. Mit dem Nordreich geht es dem Ende entgegen. Israel als politi- sche Größe schrumpft dahin (63). Vom Niedergang des Staates bleibt keins seiner Glieder unberührt. Und doch hat JHWH die Souverä- nität, mitten im Gericht sich selbst in den Arm zu fallen und das Aus- maß des Verderbens zu begrenzen. Die Hoffnung darauf ist nur ge- ring, denn sie ist durch das “Vielleicht” und durch den Restgedanken doppelt eingeschränkt. Aber es ist eine Hoffnung. Ruhr-Universität Bochum Andreas SCHERER Evangelisch-Theologische Fakultät Universitätsstrasse 150 D-44801 Bochum SUMMARY Recently it has been proposed that announcements of judgment, like the ones to be found in the minor prophets Amos and Hosea, on principle are to be considered as vaticinia ex eventu. Even the traditions of salvation, employed to reinforce different kinds of reproach, are held to be the work of learned redactors. However, these hypotheses are supported neither by the evidence from the ancient Near East nor by the logic underlying prophetical proclamations of judgment themselves, for sheer announcements of punishment could only be meaningless in times of doom as well as during periods of recovery. Old Testament prophecy of doom is no complete stranger among the religions of the ancient Near East. It owes its uniqueness not to the kind or genus, but only to the complexity of its message. (62) Die Wendung “Gott Zebaoth” ist in 14b und 15b wahrscheinlich späterer Zusatz. Sie “überfüllt den Vers” (RUDOLPH, Joel-Amos-Obadja-Jona, 190) an beiden Stellen. Daß wir hier wirklich einen Nachtrag vor uns haben, legt sich auch durch den Vergleich von Am 4,13 mit 5,8 und 9,6 nahe. Während an den beiden zuletzt genannten Stellen die Kurzform “JHWH ist sein Name!” belegt ist, wird derselbe Ausdruck in 4,13 durch “Gott Zebaoth” zerdehnt, was auch für 4,13 auf einen sekundären Eingriff schließen läßt. In 5,14-15 könnte derselbe Glossa- tor am Werk gewesen sein. (63) Zur zeitgeschichtlichen Auslegung von Am 5,14-15 vgl. WOLFF, Joel und Amos, 295; JEREMIAS, Amos, 72-73.