Christoph Berner, «Gab es einen vorpriesterlichen Meerwunderbericht?», Vol. 95 (2014) 1-25
This article challenges the widespread belief that the miracle at the Sea is a cornerstone of the Exodus tradition and an essential part of the pre-priestly Exodus narrative. An analysis of the prose account in Exodus 14 suggests that its non-priestly portions are actually post-priestly and belong to a late Dtr reworking of the text. The Dtr editor stresses that YHWH takes an active part in the defeat of the Egyptians during Israel's crossing of the sea, and thus establishes the thematic focus which characterizes the reception history of this tradition throughout the Hebrew Bible.
01_Biblica_Berner_Layout 1 01/04/14 11:43 Pagina 23
23
GAB ES EINEN VORPRIESTERLICHEN MEERWUNDERBERICHT?
Zur näheren Erläuterung dieser Sichtweise ist ein kurzer Seiten-
blick auf die Genese der betreffenden Plagen erforderlich. Wie an
anderer Stelle ausführlich dargelegt 79, ist der zweite Teil des Plagen-
zyklus (Ex 9,13–10,27 bzw. 11,9) insgesamt als nachpriesterliche
Bildung zu beurteilen, wobei sich die Entwicklung des Textkomple-
xes vereinfacht folgendermaßen darstellt. Den Anfang markiert die
Hagelplage (9,13.17-19.23b.24aαb.25a.35a), die zunächst von einem
einmaligen Hagelschlag JHWHs berichtete. Die Plage wurde in einem
nächsten Schritt zu einem Hagelgewitter ausgestaltet, das JHWH auf
Moses Fürbitte hin beendet (9,27abα1.28a.29.33abα*), wobei der Be-
arbeiter auch für den Plagenbeginn eine analoge Konstellation pos-
tulierte: Mose gibt das Zeichen, woraufhin JHWH es hageln lässt
(9,22*.23). Diese Entsprechung zwischen dem Beginn und dem Ende
der Hagelplage fand der Verfasser der Heuschreckenplage bereits
vor. Er kopierte das Schema und erweiterte es um ein Sündenbe-
kenntnis des Pharao (10,1*.3-5aαbα.6b.12abα.13-14.15*.16*.17-20),
das er durch 9,27aβ2b.33bβ.34* auch in der Hagelplage erzählerisch
verankerte. Der Gedanke, dass sowohl Mose als auch JHWH an der
Heraufführung der Heuschreckenplage beteiligt sind, hat demnach
nicht den Meerwunderbericht, sondern die Hagelplage zum Hinter-
grund, wo er als sachliches Widerlager zur Fürbittenthematik konzi-
piert wurde.
Die Integration der im priesterlichen Wunderwettstreit vorgege-
benen Rolle des menschlichen Wundertäters in eine Konzeption
der Plagen als göttlicher Machterweise ist bestimmend für eine
spätdtr Entwicklungsphase des Plagenzyklus, deren theologische
Programmatik wohl am deutlichsten in Ex 7,3 zutage tritt. Der Vers
bildet eine Erweiterung des priesterlichen Plagenprologs, die JHWH
betont auf die Vermehrung seiner Zeichen und Wunder abheben
lässt (~yrcm #rab ytpwm taw ytta ta ytybrhw). Dabei wird mit
dem Lexem tpwm ein Schlüsselbegriff des priesterlichen Wunder-
wettstreits (7,9; 11,10) aufgegriffen und in eine formelhafte Wen-
dung eingebunden, die die spätdtr Rezeption der Plagen insgesamt
prägt 80.
79
Vgl. BERNER, Exoduserzählung, 215-266; ID., “Der literarische Cha-
rakter der Priesterschrift in der Exoduserzählung (Ex 1–14)†[erscheint in:
Schriften der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie].
80
Vgl. Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8; 29,2; 34,11.