Jan-Dirk Döhling, «Gott und die Gier. Altorientalisch-alttestamentliche Erkundungen eines aktuellen Begriffs.», Vol. 94 (2013) 161-185
The greed motif is found in biblical and in ANE texts. The Baal Cycle characterizes Mot, the god of death and drought, as a destroyer of life. With in Ugarit’s polytheistic system, Mot is nonetheless essential for agricultural growth. Mot’s greed is, thus, a terrible, yet inevitable, factor. The analysis of (lb (to devour, swallow) in the Hebrew Bible reveals a significant alteration. In the Old Testament, “greed” is a negative human attitude in socio-economic conflicts. In opposing greed the God of Israel addresses those who practice it and those who suffer from it as human beings.
Gott und die Gier.
Altorientalisch-alttestamentliche Erkundungen
eines aktuellen Begriffs *
I. Zur historisch-theologischen Tiefenschärfe des Gier-Begriffs
Die Rede von der Gier hat Konjunktur im gegenwärtigen finanz-
kapitalistischen Krisendiskurs und scheint mitunter zu einer quasi-
diagnostischen Kategorie geworden zu sein. Sie fungiert als pejorative
Zuschreibung an Individuen oder Institutionen, kann aber andererseits
auch als fast autonome Größe erscheinen. Unklar bleibt meist, ob es
sich bei dem so benannten Phänomen um ein Moraldefizit einzelner
oder um eine systemische Größe, gar um das Movens des Kapitalis-
mus, handelt. Beides muss durch genaue ökonomische und sozialpsy-
chologische Gegenwartsanalysen beantwortet werden 1.
Da aber Erkennen und Handeln nicht im begriffs- und geschichts-
losen Raum erfolgen, sind mittelbar auch die historischen Disziplinen
herausgefordert. Für die Rede von der Gier gilt dies um so mehr, da
sie als (über)individuelle Größe im sozio-ökonomischen Diskurs eine
lange Geschichte aufweist. Weit über die, mittelalterlicher Moral ent-
lehnte, volkstümliche Bannung als sog. Todsünde 2, wurzelt die Gier-
Zuschreibung nicht nur in der Bibel, sondern reicht bis in die Welt
des Alten Orients. Durch die Zeiten zeigt sie thematische und sprach-
liche Konstanz und signifikante Transformationen, denen die folgen-
den Ãœberlegungen nachgehen.
Gilt die Gier als autonome Größe bzw. als Wesen des Systems, so
liegt die rhetorische Figur der Prosopöie zugrunde. Sie gibt dem, was
neutral als Ding, Struktur oder Prozess gilt, sprachlich und konzep-
Klaus Wengst zum 70. Geburtstag.
*
Cf. hierzu H. WELZER, Mentale Infrastrukturen. Wie das Wachstum in
1
die Welt und in die Seelen kam (Berlin 2011) sowie R. MIGGELBRINK, Lebens-
fülle. Für die Wiederentdeckung einer theologischen Kategorie (QD 235;
Freiburg i. Br. 2009).
Präziser wäre sie als Laster, bzw. als Haupt- oder Wurzelsünde bezeich-
2
net cf. H. KRAMER, “Habgierâ€, 3LThK IV, 1127-1128.
BIBLICA 94.2 (2013) 161-185
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