Andreas Scherer, «Vom Sinn prophetischer Gerichtsverkündigung bei Amos und Hosea», Vol. 86 (2005) 1-19
Recently it has been proposed that announcements of judgment,
like the ones to be found in the minor prophets Amos and Hosea, on principle are
to be considered as vaticinia ex eventu. Even the traditions of
salvation, employed to reinforce different kinds of reproach, are held to be the
work of learned redactors. However, these hypotheses are supported neither by
the evidence from the ancient Near East nor by the logic underlying prophetical
proclamations of judgment themselves, for sheer announcements of punishment
could only be meaningless in times of doom as well as during periods of
recovery. Old Testament prophecy of doom is no complete stranger among the
religions of the ancient Near East. It owes its uniqueness not to the kind or
genus, but only to the complexity of its message.
12 Andreas Scherer
Die Erinnerung an Jehus blutigen Putsch wird dabei zum Symbol für
die chaotischen politischen Zustände im Nordreich (42). Weil sich die
Repräsentanten der Monarchie allesamt unwürdig verhalten, geht die
Institution des Königtums im Angesicht JHWHs der Krise entgegen.
Wie Könige in Israel an die Macht kommen, wie sie beraten werden
und regieren, entspricht nicht mehr dem Willen JHWHs. Deshalb ist
die Zeit der Könige um. Mit ihnen wird vieles verschwinden, was dem
Volk zur falschen Sicherheit geworden ist. Diese Art von Kritik, die
sich bei aller Grundsätzlichkeit doch an der konkreten Wirklichkeit
orientiert und nicht auf einen abstrakten Antiinstitutionalismus hinaus-
läuft, wirkt keineswegs so, als wäre sie aus der Retrospektive entwor-
fen. Sie gehört vielmehr in die Epoche, die sich in ihr widerspiegelt.
Sie ist gemeinsam mit der Gerichtserwartung, mit der sie aufs engste
verknüpft ist, in staatlicher, nicht in nachstaatlicher Zeit anzusiedeln
(43). Noch vor dem Ende spricht der Prophet Hosea seine überindividu-
elle Gerichtsankündigung aus, die, indem sie die Repräsentanten des
Staates trifft, dem Staat selbst den Untergang voraussagt.
Wie das Beispiel der Bileam-Inschrift zeigt, steht die alttesta-
mentliche Schriftprophetie mit der Universalität ihrer Unheilspro-
gnose nicht völlig isoliert da. Bileam sieht von einer Gottheit gewirk-
tes Verderben auf ‘sein Volk’ zukommen. Was dabei an Unheil in
jedem Falle unausweichlich ist, wird mit meteorologischen Phänome-
nen umschrieben, die in auffälliger Weise Assoziationen mit der Vor-
stellung vom Tag JHWHs bei Amos wachrufen:
tpry (44) skry πmyn
b‘bky πm hπk w’l ngh (Zeile 8-9 [Hoftijzer – van der Kooij]; XXI-
XXII [Weippert]; 6-7 [Seow])
(42) Vgl. neben Hos 1,4 noch 3,4; 7,3-7; 8,4; 9,15; 10,3.7.15; 13,9-11 und zur
Sache J. JEREMIAS, Der Prophet Hosea (ATD 24,1; Göttingen 1983) 30-32.
(43) Königskritische Tendenzen gehen in Syrien und Palästina übrigens bis in
vorisraelitische Zeit zurück. Vgl. dazu M.C. ASTOUR, “The Amarna Age Fore-
runners of Biblical Anti-Royalismâ€, Studies in Jewish Languages, Literature, and
Society. Festschrift M. Weinreich (London et al. 1964) 6-17. Ein Beispiel für is-
raelitische Königskritik aus der Zeit des zu Ende gehenden Nordreichs liefert der
Gideon-Abimelech-Redaktor, der das Abimelechkapitel Ri 9 einschließlich der
darin enthaltenen sog. ‘Jothamfabel’ mit dem Gideonzyklus Ri 6–8 vereint hat.
(44) Mit H. und M. WEIPPERT, “Die ‘Bileam’-Inschrift von Tell Dˇr ‘AllËâ€,
M. WEIPPERT, Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte
des antiken Israel in ihrem syrisch-palästinischen Kontext (FAT 18; Tübingen
1997) 148 leite ich tpry von der Wurzel prr ab (vgl. akk. parËrum im D-Stamm).
M. WEIPPERT, “‘Bileam’-Textâ€, 168, Anm. 19 bevorzugt allerdings inzwischen
die Lesart tpqy.