Ulrich Victor, «Textkritischer Kommentar zu ausgewählten Stellen des Matthäusevangeliums», Vol. 22 (2009) 55-90
In a contaminated manuscript tradition there is no such thing as a 'good' manuscript or a 'good' group of manuscripts. The right reading may be found anywhere in this tradition, even in the smallest parts. There is no other means of deciding between different readings than the tools of philology, and every variant of the text must be considered as a unique case. This will be demonstrated in 33 variants of the text of Matthew's Gospel.
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29 ein einzelner weiterer (23,14), der zudem an seinem vermeintlichen
Ursprungsort eine unterschiedliche sprachliche Form hatte, aus einem
anderen Evangelium eingefügt worden sein sollte. Solche Annahmen,
die im Commentary von Metzger mit großer Beliebigkeit sehr häufig
gemacht werden, sollten – als eine Regel – in jedem Einzelfall begründet
und nicht nur einfach behauptet werden.
3. Die Tatsache, dass die Zeugen dieses Verses ihn sowohl nach V.13
als auch nach V.12 bieten, spricht dafür, dass er zuerst ausgelassen und
dann in Teilen der Überlieferung wegen ungenau gesetzter kritischer Zei-
chen an einer falschen Stelle wieder eingefügt wurde. Es ist dies ein sehr
triviales Versehen in der handschriftlichen Überlieferung: „Die meisten
Stellen, bei denen es gute Gründe für die Annahme gibt, dass eine Zeile
…falsch plaziert wurde, sind wahrscheinlich das Ergebnis eines Prozesses
in drei Stufen: Auslassung, Einfügung am Rand, Wiederaufnahme in
den Text am falschen Ort“.33 Es ist also genau das Gegenteil dessen zu
schließen, was Metzger hier (und an vielen anderen Stellen) aus einem
derartigen Befund schließt.
4. Gegen Metzger ist zu sagen, dass die Zeugnisse des westlichen
Textes (it), die diesen Vers enthalten, früher sind als diejenigen, die ihn
auslassen – wenn man einem solchen Argument Gewicht beimisst (siehe
die Einleitung!).
Mt 24, 36
ouvde. o`` ui`o` j,
1. Es ist leicht vorstellbar, dass dieser Text aus dogmatischen Gründen
– die Allwissenheit des Sohnes durfte nicht in Frage gestellt werden –
getilgt wurde. Athanasius z.B. geht in seinen Orationes tres contra Aria-
nos mehrfach in diesem Sinne darauf ein.
2. Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen er hätte hinzugefügt
worden sein sollen. Taylors34 Bemerkung „ouvde. o`` ui`o` j, was wanting in the
original text of Mat. 24, 36 and by assimilation to the text of Mk. 13, 32
was added in most textual families at a very early date” fordert die Frage
heraus, wie man eine Ergänzung “at a very early date” vom Originaltext
unterscheiden kann. Außerdem begnügt sich Taylor mit einer Behaup-
tung, wo man eine Begründung erwarten darf.
33
K. Dover , „Textkritik“, in H-G. Nesselrath, Einleitung in die griechische Philologie
(Stuttgart/Leipzig 1997) 50.
34
V. Taylor, The Text, 73f. Ebenso schon ohne Begründung B.F. Westcott / F.J. A. Hort
(ed.), The New Testament in the original Greek (2 vols; Cambridge / London 1881), vol.2,
Notes, ad loc..