Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
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entgegen, dass auch diese Sätze “durch vorösterliche Sachverhalte mit
veranlaßt†(78) sind, insofern Jesus wohl im Voraus von seinem Tod
gesprochen und zugleich eine Hoffnung artikuliert haben dürfte —
etwa eine, wie sie in Psalm 22 zum Ausdruck kommt. Auf diesem Text
führen weniger die Analogien zwischen der ersten Hälfte des Psalms
und den Passionsberichten (79) als vielmehr die Tatsache, dass auch
Gedanken der zweiten Hälfte des Psalms in Jesu Mund nachklingen:
So dürfen neben dem Ruf “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen?†(Ps 22,2; Mt 27,46) auch die Wendungen “Die Elenden
sollen essen, dass sie satt werden†(Ps 22,27; Lk 6,21; Mt 5,6) oder
“Des Herrn ist das Reich†(Ps 22,29; Mt 6,13 [und generell in der
Reich Gottes Verkündigung]) nicht übersehen werden. In diesem
zweiten Teil, in Ps 22,30, zeigt sich eine Zuversicht, die über den Tod
hinausreicht und die überdies dem Paradoxon sprachlich sehr nahe
kommt: “die zum Staub hinab fuhren und ihr Leben nicht konnten
erhaltenâ€. In der Septuaginta wird der Gedanke zu kai; hJ yuchv mou
aujtw/' zh/' umformuliert, was deutlich an unser Paradoxon erinnert. —
Doch bleibt es wahrscheinlich, dass sich der Schritt, unser Paradoxon
auch auf ein Umschlagen vom Verlieren des physischen Lebens in ein
Gewinnen nach dem Tod zu beziehen, erst im fortgeschrittenen
Stadium der Wirksamkeit Jesu ergab.
Bei Jesu Auseinandersetzung mit seinem Sterben zeigt sich —
neben den mehrfach überlieferten Leidensankündigungen — in den
beiden Worten von der Lebenshingabe (Mt 20,28 parr. Mk 10,45) (80)
eine gewisse Differenz zu der eigentlichen Aussage unseres
Paradoxons. Während in diesem Logion gewissermaßen von einem
Gewinn für denjenigen die Rede ist, der die Sorge um seine yuchv
aufgibt, so fehlt dieses Moment in Mt 20,28; Mk 10,45: Hier gewinnt
der sich Hingebende nichts für sich, sondern ausschließlich etwas für
die anderen bzw. für “vieleâ€. Insofern ist unser Paradoxon mit Jesu
Worten zur Lebenshingabe nicht ganz kommensurabel. Das wiederum
spricht dafür, dass das uns beschäftigende Logion nicht primär in den
Kontext des Todes gehört.
(78) THEISSEN – MERZ, Der historische Jesus, 103; ebd. 103-104 zum Problem
des “Ostergrabens†allgemein.
(79) Vgl. nur H. GESE, “Ps 22 und das Neue Testament. Der älteste Bericht
vom Tode Jesu und die Entstehung des Herrenmahles†ZThK 65 (1968) 1-22.
(80) BECKER, Jesus von Nazaret, 417, u.a. halten dieses Wort für nicht
jesuanisch; anders z.B. P. STUHLMACHER, Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit.
Aufsätze zur biblischen Theologie (Göttingen 1981) 27-42.