Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
Zum Paradox vom “Verlieren†und “Finden†des Lebens 345
feiert und isst ja bereits mit den outcasts (72), trocknet manche Träne,
und er eröffnet den ptwcoiv beispielsweise mit der von Theissen
skizzierten Wertrevolution (73) eine radikal andere Lebensperspektive.
Und sollte die jeweils letzte Seligpreisung der Geschmähten und
Verfolgten nachösterlich zu verorten sein (74), wäre der Gegen-
wartsbezug der ursprünglichen Aussage noch wesentlich stärker zu
veranschlagen.
So trägt die Konzeption der Seligpreisungen der Tatsache
Rechnung, dass die mit dem Paradoxon ausgedrückte Lebens-
Auffassung in einem Horizont steht, der über die Grenzen des
natürlichen Lebens hinaus geht. Insofern wird hier, wie im Gespräch
über den “Lohn der Nachfolgeâ€, der Horizont über den Tod hinaus
ausgeweitet. Dieselbe Einsicht ist auch im narrativen Horizont der bei
Lukas überlieferten Gleichnisse “Reicher Mann und armer Lazarusâ€
(Lk 16,19-31) und “Reicher Kornbauer†(Lk 12,16-21) präsent. Hier
findet das im Paradoxon formulierte Umschlagen — sowohl das
negative in Satz (1) als auch das positive in Satz (2) — tatsächlich mit
dem leiblichen Tod statt. Doch es bleibt festzuhalten, dass die primäre
Ausrichtung unseres Paradoxons in der Formulierung einer
grundlegenden Wahrheit im Bereich des verkündeten Reiches Gottes
zu finden ist. Es hat erst einmal mit dem Diesseits zu tun.
Dabei musste dann freilich auch — je mehr sich die Dinge
zuspitzten — das Martyrium in den Blick geraten (75). So sind hier auch
die “Leidensankündigungen†(76) zu bedenken, die dem Paradoxon
insofern gedanklich verwandt sind, als dem Ãœberantwortet-Werden des
Menschensohns ein Auferstehen nach drei Tagen gegenübersteht, ein
Gedanke, der eine Affinität zu Satz (2) aufweist. Nun wird kaum
jemand die “Leidensankündigungen“ in der überlieferten Gestalt als
jesuanisch einschätzen wollen (77). Doch steht nichts der Annahme
(72) Ein Satt-Werden ist auch in in anderen synoptischen Stücken präsent:
Speisung der 5000 (Mt 14,13-21 parr.), Gleichnis vom Gastmahl (Mt 22,8-14
parr.), Der hungernde Lazarus (Lk 16,19-31).
(73) THEISSEN, “Jesusbewegungâ€, 343-360.
(74) THEISSEN – MERZ, Der historische Jesus, 232.
(75) Vgl. nur BECKER, Jesus von Nazaret, 413-421; CROSSAN, The Historical
Jesus, 352; THEISSEN – MERZ, Der historische Jesus, 377-385; J.H.
CHARLESWORTH, Jesus within Judaism. New Light from Exciting Archaeological
Discoveries (New York u.a. 1988) 143-145.
(76) (1) Mk 8,31 parr. Mt 16,21, Lk 9,22.; (2) Mk 9,31 parr. Mt 17,22-23, Lk
9,44; (3) Mk 10,33-34 parr. Mt 20,18-19, Lk 18,31-33.
(77) Vgl. nur CHARLESWORTH, Jesus within Judaism, 143-144, THEISSEN –
MERZ, Der historische Jesus, 377-378.