Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
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“Kompensation†ausgedrückt, die angesichts des Reiches Gottes
bereits in diesem Leben anhebt und dann als “ewiges Leben†weiter zu
denken ist.
Dieser Horizont des Paradoxons, der sich in die Zukunft und über
den Tod hinaus erstreckt, ist auch in den — ebenfalls als “paradox†zu
bezeichnenden — (67) Seligpreisungen (Mt 5,3-11; Lk 6,20-23) (68) zu
greifen. Als ursprünglich gelten die Seligpreisungen der ptwcoiv (Mt
5,3; Lk 6,20b), der peinw'nte" (Mt 5,6; Lk 6,21a) und der klaivonte"
(Lk 6,21b) bzw. praei'" (Mt 5,5) (69). Bemerkenswert ist die
Konstruktion: Beide Fassungen heben mit nachdrücklich präsenti-
schen Formulierungen an: Die eröffnenden Worte makavrioi oiJ ptwcoiv
ebenso wie die an die eben selig Gepriesenen gerichtete Zusage “Euer
(Lk) / ihrer (Mt) ejstin hJ basileiva (tou' qeou' [Lk 6,20] / tw'n oujranw'n
[Mt 5,3]) sprechen eine gegenwärtige Wirklichkeit aus (70): Das
Gesegnet-Sein der ptwcoiv, der völlig Verarmten, ist als bereits
gegenwärtige Teilnahme am Reich Gottes zu verstehen (71). Dieser
Gegenwartsbezug wird durch die Repetition der makavrioi-Formu-
lierung an den folgenden Satzanfängen beharrlich akzentuiert.
Allerdings wird die in der jeweiligen Apodosis zu erwartende Folge im
Indikativ Futur formuliert (Mt 5,4-9; Lk 6,21), bis die Aussagenreihe in
Mt 5,11 und Lk 6,23 schlussendlich futurisch endet: Den Geschmähten
wird ein “Lohn im Himmel†zugesprochen. Zwischen Gegenwart und
Eschaton liegen also die futurischen Partizipien, die in gewisser Weise
offen lassen, ob sich die jeweilige Seligpreisung schon bald, noch in
diesem Leben, oder erst danach erfüllt. Doch der emphatische Beginn,
wie überhaupt die synoptische Tradition, drängen darauf, dass sich
diese Zusagen — zumindest teilweise — schon jetzt erfüllen.
Schließlich bricht das Reich Gottes bereits in der Person Jesu an. Er
(67) LUZ, Mt 1-7, 275.
(68) Die lukanische Fassung gilt in den meisten Teilen als die ursprünglichere,
vgl. z.B. NOLLAND, Luke 1-9:20, 280-281; LUZ, Mt 1-7, 271; KLEIN, Lukas, 244-
246.
(69) Vgl. nur LUZ, Mt 1-7, 273; KLEIN, Lukas, 245; BECKER, Jesus von Nazaret,
196-197; sie alle halten die Worte an Geschmähte und Verfolgte (Mt 5,11-12; Lk
6,22-23) für Gemeindebildung.
(70) Zur Anwendung des Theorems “Sprechakt†vgl. H. WEDER, Die Rede der
Reden. Eine Auslegung der Bergpredigt heute (Zürich 31994) 40.
(71) Das Miteinander von präsentischen und futurischen Formulierungen wird
meist notiert, aber doch vorwiegend futurisch interpretiert, so etwa NOLLAND,
Luke 1-9:20, 283-284,289; HARRINGTON, Matthew, 78.82-83; LUZ, Mt 1-7, 275,
281.