Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
Zum Paradox vom “Verlieren†und “Finden†des Lebens 343
der Jesusanhänger viele gab, die ihm und seinen Jüngern Unterkunft
gewährten, man denke an die Episoden bei Maria und Martha (Lk
10,38-42) oder bei Petrus’ Familie (Mt 8,14 parr.). Und genau
genommen handelt es sich dabei nicht “nur†um Unterstützung,
sondern um eine neue Lebensform: Dies “is the heart of the original
Jesus movement, a shared egalitarianism of spiritual and material
resources†(65).
Von diesen Feststellungen ausgehend, wird auch verständlich, aus
welchem Grunde sowohl bei Mk als auch bei Lk auf einen weiteren
Hörerkreis hingewiesen wird: Gemäß Mk 8,34 kommt das “Volk†zu
den Jüngern hinzu, und bei Lk 9,23 sind es “alleâ€. In der Tat kann sich
dieses Wort nicht allein auf diejenigen beziehen, die den radikalen
Schritt zur wandernden Nachfolge vollziehen, sondern wird wohl alle,
die sich zur Jesusbewegung halten, im Blick haben. Wäre dies nicht der
Fall, würde eine Unterscheidung von Entschlossenen und Zögerlichen
eingeführt, und die Ortsansäßigen, die den Wandernden ihr Leben erst
ermöglichen, würden mit dem fahlen Nachgeschmack zurückgelassen,
dass sie eben Satz (2) nicht leben würden. — Auch von hier aus
bestätigt sich die Annahme, dass das Paradox eine grundlegende
Wahrheit für alle dem Reich Gottes Verbundenen zum Ausdruck
bringt.
V. Ãœber die Gegenwart bzw. dieses Leben hinaus
Ist also deutlich, dass das Paradoxon in seiner Grundform die
Lebens-Auffassung Jesu trefflich wieder gibt, so ist doch zugleich
selbstverständlich, dass man den Horizont, in dem sich das Wort
bewahrheitet, als zeitlich “erstreckt“ sehen muss. Insofern Jesus — wie
die meisten Exegeten annehmen — in apokalyptischer Weise einen
Umbruch der Verhältnisse erwartet hatte und zugleich den Beginn
dieses Vorgangs in seinem Handeln zum Ausdruck brachte (66), muss
das im Paradoxon Ausgesagte nicht unmittelbar erfahrbar sein. Es wird
sich in der Gegenwart möglicherweise nur ansatzweise zeigen und sich
erst in der Zukunft, oder gar erst nach dem Tod, als evident erweisen.
Im Gespräch über den Lohn der Nachfolge klingt das bereits an; denn
durch das “hundertfache†bzw. “vielfache Empfangen†wird eine
(65) CROSSAN, The Historical Jesus, 341, der (ebd., 341-344) den Unterschied
zwischen Almosen bzw. bloßer Unterstützung einerseits und dieser neuen
Lebensform andererseits herausstellt.
(66) Vgl. dazu nur LUZ, Mt 1-7, 275.