Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
342 Ulrich Schmidt
vollziehen beginnt, nicht in Frage gestellt. Plausibel dürfte die
Annahme einer ursprünglich kürzeren Fassung sein, wie sie bei Mt und
Lk vorliegt. Mk dürfte die Zusage für dieses Leben ausgebaut haben.
Auch die auf Jesu Person bezogenen Spezifizierungen (“um meines
Namens willen†[Mt 19,29; Mk 10,29], “um des Evangeliums willenâ€
[Mk 10,29], “um des Reiches Gottes Willen†[Lk 18,29]) dürften —
wie auch beim Paradoxon — zunächst als sekundär auszuklammern
sein. Es bleibt der Grundgedanke, dass jeder, der Familie und Besitz
verlässt, vielfach empfangen wird, schon jetzt und dann einmal das
“ewige Lebenâ€.
Die Struktur des Gedankens entspricht in Bezug auf Verlust und
Gewinn Satz (2), wenn auch das semantische Inventar nicht identisch
ist. Die Art des “Gewinnes†wird ausdifferenziert; doch bleibt — außer
bei Mk — die konkrete Beschreibung ähnlich unspezifisch (61) wie bei
unserem Paradoxon. So spiegelt sich in beiden Logien, sowohl in Satz
(2b) als auch im “vielfach empfangenâ€, eine Erfahrung, die in der
synoptischen Tradition verschiedentlich durchschimmert: Durch
Verlust und Verzicht fällt dem Menschen ein Gewinn zu.
Wenige Hinweise dazu mögen genügen. Bei der in Mk 3
berichteten Konfrontation mit seiner Sippe verweist Jesus auf eine
andere Familie: “Diejenigen die den Willen tun meines Vaters im
Himmel†(Mk 3,34-35). Seine Reputation mag beschädigt worden
sein, aber nicht generell, sondern nur in gewissen Kreisen; durchaus
konnte er sozial gut gestellte Personen ansprechen, wie aus winzigen
“Marginalienâ€, etwa dem Hinweis auf Johanna, der Frau eines
herodianischen Verwalters, deutlich wird (62). Aus dem Umfeld derer,
die ihm nachfolgen — oder zumindest zu ihm stehen — (63), erwächst
ihm die Unterstützung, die er für das Wanderleben braucht (64) — mit
dem er seine Predigt vom Reich Gottes weiter trägt und zugleich
visualisiert —. Unterstützung meint dabei natürlich auch Unterkunft;
wieder lassen vereinzelt begegnende Züge erkennen, dass es im Kreis
(61) Vgl. NOLLAND, Luke 9:21-18:34, 893: “Without intending to be very
precise about the form this will takeâ€.
(62) Vgl. dazu nur THEISSEN – MERZ, Der historische Jesus, 215. Weitere
Indizien sind z.B.: der römische Hauptmann (Mt 8,5-13) oder Josef von
Arimathäa (Lk 23,50-53).
(63) Vgl. nur HARRINGTON, Matthew, 281: “distinction between keeping the
commandments and full discipleshipâ€.
(64) Vgl. nur SANDERS, The Historical Figure of Jesus, 107-111; J.D. CROSSAN
– J.L. REED, Excavating Jesus. Beneath the Stones, Behind the Texts (San
Francisco, CA 2001) 122-125: “A Program of Reciprocal Sharingâ€.