Christoph Berner, «Gab es einen vorpriesterlichen Meerwunderbericht?», Vol. 95 (2014) 1-25
This article challenges the widespread belief that the miracle at the Sea is a cornerstone of the Exodus tradition and an essential part of the pre-priestly Exodus narrative. An analysis of the prose account in Exodus 14 suggests that its non-priestly portions are actually post-priestly and belong to a late Dtr reworking of the text. The Dtr editor stresses that YHWH takes an active part in the defeat of the Egyptians during Israel's crossing of the sea, and thus establishes the thematic focus which characterizes the reception history of this tradition throughout the Hebrew Bible.
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Fassung des Meerwunders überwiegend, wenn nicht ausschließlich,
in vergleichsweise späten Texten und nicht anders als in ihrer vorlie-
genden Verbindung mit dem P-Text rezipiert wird, wird man fragen
müssen, ob sie überhaupt jemals in anderer Form existierte. Gab es
wirklich einen selbstständigen vorpriesterlichen Meerwunderbericht,
der endredaktionell mit seinem priesterlichen Pendant verknüpft 22
bzw. von P-Tradenten bearbeitet wurde 23? Oder sind die nichtpries-
terlichen Textanteile von vornherein als eine Bearbeitungsschicht der
priesterlichen Darstellung konzipiert worden, die den Durchzug durch
das geteilte Meer zu dem unmittelbaren göttlichen Machterweis um-
gestaltete, als der er in der Rückschau stets erinnert wird 24?
Eine entsprechende Revision des Verhältnisses zwischen nicht-
priesterlichem und priesterlichem Text hätte weitreichende Folgen
sowohl für die Redaktionsgeschichte der Exoduserzählung als auch
für die Frage nach den Ursprüngen der Auszugsüberlieferung. Dass
sie sich aber nicht allein im Licht rezeptionsgeschichtlicher Erwä-
gungen, sondern auch und vor allem aufgrund der konkreten litera-
rischen Befunde in Exodus 13–15 nahelegt, ist im Folgenden zu
zeigen. Dabei soll es zunächst ausführlich um die Aporien gehen, die
sich bei der Rekonstruktion eines vorpriesterlichen Meerwunderbe-
richts ergeben (III.). Die Entfaltung und redaktionsgeschichtliche Pro-
filierung eines Alternativmodells, das die nichtpriesterlichen Partien
von Exodus 14 als Bearbeitung eines priesterlichen Grundbestandes
begreift, wird unter IV. folgen.
22
Zu dieser überwiegend akzeptierten Sichtweise vgl. etwa J.C. GERTZ,
Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung (FRLANT 186; Göttingen
2000) 189-232.
23
So noch BERNER, Exoduserzählung, 353-365, u.a. im Anschluss an E. BLUM,
Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189; Berlin – New York 1990)
256-262.
24
Diese Sichtweise deutet sich in gewisser Weise bei H.-C. Schmitt an,
der auf die planvolle Umakzentuierung des priesterlichen Meerwunderberichts
durch die nichtpriesterlichen Textanteile abhebt, diese aber als Bruchstücke
eines vorpriesterlichen Meerwunderberichts sieht. Vgl. H.-C. SCHMITT,
“‘Priesterliches’ und ‘prophetisches’ Geschichtsverständnis in der Meerwun-
dererzählung Ex 13,17–14,31â€, Theologie in Prophetie und Pentateuch (eds.
U. SCHORN – M. BÜTTNER) (BZAW 310; Berlin – New York 2001) 203-219.