Michael Sommer, «Die literarische Konzeption von räumlicher und zeitlicher Wahrnehmung in der Johannesoffenbarung.», Vol. 96 (2015) 565-585
This article proposes that the Book of Revelation does not have a single concept of space and time. In contrast, John lets his first person narrator experience different modes of time and space, and his temporal and spatial perceptions begin to change caused by God's action in history. Thereby, John wants to highlight God's power over his creation in order to criticize and to polemicize the Roman imperial cult and its particular understanding of time.
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und Frühformen des Kaiserkultes vermischten 17. Denn der erste Tag
des asianischen Kalenderjahres, an dem neue Beamten ihren Dienst
antreten konnten (Z. 78-84), wurde zugleich auf den 23. September,
dem Geburtstag von Augustus, gelegt (Z. 20-22). Obwohl nicht alle
Städte sich der Kalenderreform fügten 18, galt der Geburtstag des
Kaisers nun als Anfangspunkt des kalendarischen Jahres in großen
Teilen der Provinz Asia; eine Übereinstimmung, die vom Koinon
propagandistisch ausgeschmückt wurde. Wie andere Inschriften
auch, stützt sich die Propaganda von IPriene 105 auf die pax Romana
(Ähnliche Worte finden wir übrigens auch bei Cassius Dio, LXIX
5.2. dessen Hadriansdarstellung dem Augustusportrait von IPriene
105 ähnelt) 19. In Z. 32-41 erscheint Augustus, der swth/ra, als Garant
des äußeren Friedens, der nach Z. 6-8 den Kosmos geordnet und
damit überhaupt erst zum Lebensraum gestaltet hat. Er ist an diesem
Tag zu verehren, denn er übertrifft jede ihm vorausgehende euvaggeli,a
und lässt auch keinen Platz für eine Steigerung, denn sein Geburts-
tag, h` gene,qlioj h`me,ra tou/ qeou/, ist der Anfang der guten Nach-
richt (euvaggeli,a) für den gesamten Kosmos. Sein Geburtstag soll
deshalb, so Z. 49. zum Ausgangspunkt der Zeitrechnung des gesamten
Lebens werden, auf den letztendlich die gesamte Gesellschafts-
struktur bezogen ist 20. Letztendlich verschmelzen in IPriene 105
Kosmologie, Zeitstruktur und Reichsideologie.
Die Kalenderinschrift ist mit einem Vokabular angereichert, das
in der Einleitungswissenschaft lang und breit diskutiert wird. Es
eröffnet eine neue Perspektive auf die Texte, die ein euvagge,lion
VIhsou/ Cristou/ erzählen wollen (Mk 1,1), und verleiht der luka-
nischen Christologie, in der σωτήρ ein Schlüsselbegriff ist (Lk 1,47;
2,11; Apg 5,31; 13,23), einen politisch-kritischen Unterton — das
ist bekannt 21. Doch diesbezügliche Überlegungen fehlen in der
Apokalypseforschung nahezu vollständig. Selbst der Kommentar
17
Vgl. dazu H.-J., KLAUCK, Religion und Gesellschaft im frühen Chris-
tentum (WUNT I. 152; Tübingen 2003) 298.
18
Vgl. dazu AMELIG, “Kaiserkult”, 19; WITULSKI, Adressaten, 230.
19
Vgl. dazu T. WITULSKI, “Die Aufenthalte des Kaisers Hadrian in der rö-
mischen Provinz Asia”, Paulus und die antike Welt. Beiträge zur zeit- und
religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen Christentums (eds.
D.C. BIENERT – J. JESKA – T. WITULSKI) (FRLANT 222; Göttingen 2008) 150-
167, hier bes. 166 (Anm. 104). Ferner KLAUCK, Religion, 299.
20
Vgl. dazu WITULSKI, Kaiserkult, 29-30.
21
Vgl. dazu KLAUCK, Religion, 299-301.