Hanna Stettler, «Die Gebote Jesu im Johannesevangelium (14,15.21; 15,10)», Vol. 92 (2011) 554-579
The article addresses the controversial interpretation of the phrase «my commandments» (plural) in the mouth of Jesus, in John’s Gospel. It is to be understood against the threefold background of the new covenant according to Jer 31,31-34 and Ezek 36,26-27, the tradition of the eschatological Prophet like Moses in Deut 18,15-19, and the intrinsic connection between loving God and keeping his commandments in Deut 6,4-5. The expression implies a very high Christological statement: Only he, who is one with the Father, can demand obedience to his own commandments as a sign of his followers’ love for him.
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Schrage sind die Gebote “letztlich und in Wahrheit … nur ein
Gebot, und dieses Gebot schlechthin ist das Gebot der Liebe†6.
Nun ist freilich nicht zu leugnen, dass im Kontext aller drei Be-
lege für die “Gebote†Jesu eine starke Verbindung zwischen den „Ge-
boten Jesu“ und dem einen “Gebot Jesu†besteht, womit durchwegs
das Liebesgebot gemeint ist. Die gegenseitige Liebe unter Brüdern
und Schwestern steht zweifellos im Zentrum dieser “Geboteâ€.
Doch ist auffällig, wie Johannes zwischen Singular und Plural
von e0ntolh& sorgfältig unterscheidet: Den Plural konstruiert er stets
mit dem Verbum threi=n 7, während der Singular nie mit threi=n
verbunden wird. Schon das deutet darauf hin, dass der Plural mehr
ist als einfach eine Variante des Singulars.
3. Die Gebote Jesu: das mosaische Moralgesetz und das Liebesgebot
Einen dritten Lösungsweg sucht Siegfried Schulz in seiner Ethik
des Neuen Testaments. Während er für das noch nicht redigierte
Johannesevangelium an Bultmanns Deutung im Sinne des Glau-
bens festhält 8, betont er im Blick auf die redigierte Fassung den
Unterschied zwischen Singular und Plural von e0ntolh& und stellt
fest: Die “Ineinssetzung von Gebots- und Glaubensforderung wird
... von der Redaktion bewusst korrigiert ... Die Gebote Jesu um-
greifen im Sinne der johanneischen Endredaktion sowohl die alten
Gebote des mosaischen Moralgesetzes (1,17; 3,19ff und 5,27-29)
als auch das neue Gebot der Bruderliebe (13,34f; 15,12.17)†9.
6
W. SCHRAGE, Ethik des Neuen Testaments (Göttingen 21989) 297. Vgl. be-
reits A. SCHLATTER, Der Evangelist Johannes (Stuttgart 31960) 296-297 sowie
B. LINDARS, The Gospel of John (NCBC; London 1972) 477 und F. TILLMANN,
Das Johannesevangelium, (Bonn 41931) 266. Ähnlich R.E. BROWN, The Gos-
pel according to John (XIII-XXI) (AB 29A) (London u.a. 1971) II, 638.
7
Das gilt auch für die Johannesbriefe und die Offenbarung, mit Ausnahme
von 1 Joh 5,2 und 2 Joh 6.
8
Vgl. S. SCHULZ, Das Evangelium nach Johannes (NTD IV; Göttingen
1972) 187.
9
S. SCHULZ, Neutestamentliche Ethik (Zürich 1987) 503-504, 526. Auch
J. J. KANAGARAJ denkt in seinem Aufsatz über “The Implied Ethics of the
Fourth Gospel. A Reinterpretation of the Decalogueâ€, TynB 52 (2001) 33-60
in diese Richtung: Er unterscheidet den Singular von e0ntolh&, welcher das
Liebesgebot bezeichne, vom Plural, worin wahrscheinlich die Einzelgebote
des Gesetzes zu sehen seien. Die Vertrautheit mit dem Dekalog, die er im Jo-
hannesevangelium nachweisen kann, spricht nach Kanagaraj dafür, dass der
Verfasser von der bleibenden Gültigkeit des Gesetzes überzeugt sei.