Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
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Trotz diverser zeitgeschichtlicher Parallelen (6), ist an der Echtheit
des jesuanischen Wortes nicht zu zweifeln (7).
Nun kommt aber dieses derart gut bezeugte Logion in der Jesus-
Literatur erstaunlich selten vor. In manchen Standardwerken ist es im
Index nicht oder nur einmal aufgelistet (8). Offensichtlich wird ihm in
der Diskussion um den historischen Jesus und seine Verkündigung
lediglich eine zweitrangige Bedeutung zugemessen. Der statistische
Befund legt jedoch eine zentrale Bedeutung des Logions nahe (9).
I. Im Schatten des Martyriums
An fünf der Belegstellen fällt vom rückwärtigen Kontext ein
Schatten auf das Paradoxon, der es im Sinne des Verlusts des
physischen Lebens einfärbt: Sowohl in Mt 10,38; 16,24 als auch in Mk
8,34 und Lk 9,23 ist die Rede vom “Kreuz auf sich nehmenâ€, und dem
korrespondiert in Joh 12,24 das Motiv vom sterbenden Weizenkorn.
Insofern das Stichwort “Kreuz†allzu leicht an Martyriumsbereitschaft
denken lässt (10), wird auch das jeweils anschließende Paradoxon in
diese Bedeutungsrichtung gedrängt (11). Unterstützung findet eine
solche Sicht zum einen durch die Annahme, dass im Begriffspaar swvzw
(6) Zu den philosophischen und rabbinischen Parallelen vgl. z.B. H.L. STRACK
– P. BILLERBECK, Das Evangelium nach Matthäus. Erläutert aus Talmud und
Midrasch (München 1922) 587-588; GRUNDMANN, Markus, 228; NOLLAND, Luke
9:21–18:34, 478; W.A. BEARDSLEE, “Saving One’s Life by Losing itâ€, JAAR 47
(1979) 61-64.
(7) Vgl. nur BULTMANN, Synoptische Tradition, 110; CROSSAN, The Historical
Jesus, 353; REBELL, “Sein Leben verlierenâ€, 203-208.
(8) So verweisen z.B. die Register bei CROSSAN, The Historical Jesus, für alle
Verse auf ebd., 353; bei R. FUNK, Honest to Jesus. Jesus for a New Millenium
(San Francisco, CA 1996) für Lk 17,33 auf ebd., 154, 214, sowie für Mt 16,24 auf
ebd., 152; bei G. THEISSEN – A. MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch
(Göttingen2 1997) lediglich für Mk 8,34-35 auf ebd., 337.
(9) So auch REBELL, “Sein Leben verlierenâ€, 203; GRUNDMANN, Markus, 228;
P. POKORNY, Theologie der lukanischen Schriften (FRLANT 174; Göttingen
1998) 149.
(10) Zur Annahme, das Kreuz-Wort rufe zur Martyriumsbereitschaft, vgl. bzgl.
Mk 8,34 nur P. DSCHULNIGG, Das Markusevangelium (ThKNT 2; Stuttgart 2007)
238, oder bzgl. Mt 10,38 etwa U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17)
(EKK I/2; Zürich u.a 1990) 144.
(11) Vgl. THEISSEN – MERZ, Der historische Jesus, 337; GRUNDMANN, Markus,
227; T. ZAHN, Evangelium des Matthäus (KNT 1; Leipzig 31910) 416; J. GNILKA,
Jesus von Nazaret, 173. Angedeutet wird diese Sicht auch von D.J. HARRINGTON,
The Gospel of Matthew (Sacra Pagina 1; Collegeville, PA 1991) 151, 251. Vgl.
auch die bei REBELL, “Sein Leben verlierenâ€, 210 Anm. 7, gesammelte Literatur.