Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
Zum Paradox vom “Verlieren†und “Finden†des Lebens 337
der Unterweisung über das Sorgen (38) thematisiert. Das Lehrstück wird
in Mt 6,25 und Lk 12,22 fast wörtlich identisch eröffnet: “mh;
merimna'te th/' yuch/' (Mt: uJmw'n) tiv favghte ... mhde; tw/' swvmati (Mt:
uJmw'n) tiv ejnduvshsqe.†Dabei bezeichnet der traditionell mit “sorget
nicht†übersetzte Ausdruck mh; merimna'te wohl weniger ein passives,
ängstliches Besorgtsein als vielmehr ein aktives Mühen im Sinne von
“Sorge tragen für†bzw. “sich abmühen für†(39). Dafür sprechen nicht
nur “der Wechsel von merimna'n mit zhtei'n und ejpizhtei'n†sowie die
beiden folgenden Bildworte, “die nicht von Sorge, sondern von Mühe
reden†(40); überdies gilt auch, dass die Sorge wohl meist ein Mühen in
Gang setzt. Zeigt dieses Mühen um die yuchv schon eine Affinität mit
Satz (1a), so ergibt die implizite, mitzudenkende Umkehrung, dass der
Mensch durch seine Sorge das Leben verfehlen könnte, eine
Entsprechung mit dem gesamten Satz (1). Eine Reihe von weiteren
Imperativen — ejmblevyate (Mt 6,26), katamavqete (Mt 6,28),
merimnhshte (Mt 6,31), zhtei'te (Mt 6,33) — strukturiert und treibt den
v
Gedanken voran bis zum Schlussvers (41). Das zhtei'n — das laut
lukanischer Fassung des Paradoxons (Lk 17,33) um die yuchv kreisen
und dabei verlieren kann — sollte sich an erster Stelle auf das “Reich
Gottes†richten: “(Lk: plh;n) zhtei'te de; prw'ton th;n basileivan (Mt:
tou' qeou' kai; th;n dikaiosuvnhn aujtou' / Lk: aujtou')â€, und wird dann
nur gewinnen: “kai; tau'ta (Mt: pavnta) prosteqhvsetai uJmi'n†(Mt
6,33; Lk 12,31), nämlich die zuvor als Gegenstände des merimnan
bezeichneten elementaren Dinge des Lebens. So ist das erste Jesuswort
bereits auf die Ergänzung durch das abschließende angelegt (42). Damit
ergibt sich ein kohärenter Gedanke: “Wer die Gottesherrschaft sucht,
ist die Lebenssorge los, weil Gott uneingeschränkt für das Leben
sorgtâ€(43). Hier zeichnet sich das Paradoxon ab, insofern der Anfang
Satz (1) widerspiegelt und der Schluss Satz (2).
(38) Die Zusammenstellung dieser Unterweisung wird wohl einhellig Q
zugeordnet, so z.B. von KLEIN, Lukas, 450-451; D. ZELLER, “mevrimnaâ€, EWNT
(21995) II, 1005; FLEDDERMANN, Q, 594-616.
(39) Die erste Option vertritt z.B. R. BULTMANN, “merimnavw†TWNT IV, 596-
597, die zweite J. JEREMIAS, Die Gleichnisse Jesu (Göttingen 41956) 179; ebenso
z.B.: GRUNDMANN, Matthäus, 215; ZELLER, “mevrimnaâ€,1005.
(40) JEREMIAS, Gleichnisse, 179.
(41) Vgl. dazu J. BECKER, Jesus von Nazaret (Berlin u.a. 1996) 163; LUZ, Mt 1-
7, 473.
(42) Vgl. BECKER, Jesus von Nazaret, 166.
(43) BECKER, Jesus von Nazaret, 166; ebenso KLEIN, Lukas, 456, zu Lk 12,3.
Zum Zusammenhang zwischen der Rede von der basileiva und der Weisheit vgl.
nur CROSSAN, The Historical Jesus, 287-291.