Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
Zum Paradox vom “Verlieren†und “Finden†des Lebens 339
Gewissermaßen eine Illustration dafür, dass die kopiw'nte" auf dem
ursprünglich begangenen Weg eben nicht das für die yuch Gesuchte
finden können, ist die Erzählung vom “reichen Kornbauern†in Lk
12,16-21. Er versucht, auf dem üblichen Weg, Wohlstand zu erlangen.
Er hat Erfolg auf diesem Weg, wird reich und hört auf, einer der
kopiwnte" zu sein. So spricht er sich selbst zu, was im Heilandsruf von
'
Jesus in Aussicht gestellt wird: kai; ejrw' th/'" yuch/'" mou, und er
ermuntert sie: yuchv, e[cei" polla; ajgaqa; ... ajnapauvou, favge, pive,
eujfraivnou (V. 19). Doch der Fortgang der Dinge erweist seinen Weg
der Selbstsicherung als Irrtum. Nicht — wie von ihm erhofft — auf
Grund von Gütern lässt sich eine ajnavpausi" für die yuchv finden,
sondern — wie der Heilandsruf deutlich macht — durch die Aufnahme
des Jochs Christi.
So lässt sich also zunächst festhalten: Beleuchtet man das Paradoxon
in jenem Beziehungsgefüge, das sich aufgrund von wichtigen Lexemen
des Logions ergibt, so wird plausibel, dass es eine Erfahrung in eine
prägnante Formel fasst: Das Umschlagen des bewusst eingegangen
Verlusts, der Abkehr von gängigen Wegen, in einen unerwarteten Gewinn
— vom willentlichen Loslassen zum Erhalten. Diese Sicht ist nun nicht
als allgemeine Lebensweisheit aufzufassen (50). Sie wird immer im
theologischen Horizont formuliert, und in Mt 6,33 par. Lk 12,31
ausdrücklich als Ausrichtung auf das Reich Gottes charakterisiert. Der
leibliche Tod hat hier nirgends eine primäre Bedeutung.
IV. Der “Sitz†im Leben Jesu
Eine solche Maxime lässt sich zudem als Aussage des irdischen
Jesus über seine eigene Lebensauffassung verstehen. Unschwer kann ja
aufgezeigt werden, dass sich in unserem Paradoxon ein Großteil dessen
widerspiegelt, was von Jesu Leben, Verhalten und Predigt bekannt ist.
Wohl kaum zu bestreiten ist die Bedeutung, welche der Aussage
von Satz (2a) — o} dΔ a]n ajpolevsh/ th;n yuch;n aujtou' — im Leben Jesu
zukommt. Der bewusst eingegangene Verlust bzw. das willentliche
Loslassen dessen, was in einer gewöhnlichen Lebensordnung als
erstrebenswert erscheint, ist bei ihm ständig präsent. Er lebt mit den
völlig Verarmten, den ptwcoiv (51); Seine Reputation als Lehrer setzt er
(50) Diesen Unterschied betont schon BULTMANN, Synoptische Tradition, 110.
(51) Zur dramatischen Situation, die durch das Wort ptwcov" angezeigt wird,
und zur Unterscheidung von pevnh", vgl. nur CROSSAN, The Historical Jesus, 271-
273.