Ulrich Schmidt, «Zum Paradox vom 'Verlieren' und 'Finden' des Lebens», Vol. 89 (2008) 329-351
Jesus’ paradox of losing and finding one’s life is well attested. According to its contexts, interpreters relate the logion predominantly to martyrdom and death. But a closer look reveals that this word is an assertion in favour of life which functions as a maxim of Jesus’ teaching and view of life. It is the context many of his sayings and behavorial patterns. The issue of a 'recompense' after death is merely a consequence of the original intention.
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bewusst aufs Spiel, nicht zuletzt durch den Umgang mit den outcasts
und mit der offenen Tischgemeinschaft mit jedermann. Das bringt ihm
folgerichtig einen üblen Leumund ein: Er wird nicht nur als “Fresser
und Weinsäufer†(Mt 11,19; Lk 7,34) beschimpft (52), sondern es wird
überdies der Vorwurf erhoben, er “verführe das Volk†(Joh 7,12). Dass
Jesus Frauen unter seinen Nachfolgern hat, gießt noch weiteres Wasser
auf die Mühlen der Verdächtigungen (53). Den Rückhalt seiner Familie,
so lässt sich in Mk 3,20-21.31 erkennen, verliert er — zumindest
anfangs — auf Grund seiner Lebensweise (54), die ihm seitens der
Angehörigen den Verdacht einhandelt, “er sei von Sinnen†(Mk 3,21).
Er verzichtet auf eine eigene Familie (55), auf einen festen Wohnsitz (56)
und auf den Versuch, sich finanziell zu sichern — und er fasst diesen
Entschluss in bildhafte Worte, etwa: “Die Füchse haben Gruben und
die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber der Menschensohn
hat nichts, da er sein Haupt hinlege†(Mt 8,20 par. ), und: “Ihr sollt euch
nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost
fressen†(Mt 6,19).
Derartige Indizien ließen sich weiter vermehren. Doch deutlich ist,
dass Jesus bewusst aufgibt, was im gewöhnlichen Leben als
erstrebenswert erscheint, und dass er auch immer wieder die üblichen,
scheinbar lebenssichernden Ãœberlegungen zu Essen, Kleidung, Besitz
und Geld sowohl durch sein Reden und Handeln in Frage stellt.
Und was er für sich selbst zu tun beschlossen hat, das verlangt er
auch von seinen Jüngern. Mit dem Verweis auf die Vögel und ihre
Nester stellt er Nachfolgewilligen vor Augen, worauf sie sich einlassen
würden. Bei anderer Gelegenheit ermahnt er mit den Worten “Wer
seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt
für das Reich Gottes†(Lk 9,62), oder er provoziert mit dem Satz “Geh
hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen
Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach†(Mt 19,21
(52) Vgl. nur CROSSAN, The Historical Jesus, 261-264, zu Jesu “open
commensalityâ€.
(53) Vgl. dazu U.E. EISEN, “Jesus und die Frauenâ€, BZ 45 (2001) 79-93.
(54) Vgl. THEISSEN – MERZ, Der historische Jesus, 182-184; E.P. SANDERS,
The Historical Figure of Jesus (London 1993) 125-126; CROSSAN, The Historical
Jesus, 299-302: Jesu “radical social egalitarianism†vs. “the patriarchical familyâ€.
(55) Zur Ehelosigkeit Jesu und die damit verbundene Problematik vgl. GNILKA,
Jesus von Nazaret, 178-179.
(56) Vgl. Crossan (The Historical Jesus, 345-348), der die Wanderexistenz
(“itineracyâ€) geradezu als notwendige Voraussetzung betrachtet; SANDERS, The
Historical Figure of Jesus, 107-111.