Stefan Schreiber, «Eine neue Jenseitshoffnung in Thessaloniki und ihre Probleme (1 Thess 4,13-18)», Vol. 88 (2007) 326-350
Paul’s portrayal of the parousia of Christ in 1 Thess 4,13-18 is induced by a concrete problem of the recently founded community in Thessalonica. So to understand the text means to reconstruct the situation out of which it has been written. A closer look at the argument of 4,13-18 reveals the fact that the event of the parousia is the centre of the problem. After a brief sketch of the recent scholarly discussion, the article gives an overview of ancient conceptions of the hereafter (or their lack, respectively) as the cultural background of the potential reception of the idea of the parousia in Thessalonica. Then the identity building force of this idea as part of the missionary preaching becomes discernible: a Christian identity constituted by a separate hope of life after death and a critical distance to the socio-political reality. In this light the deaths of some community members can be understood as an attack on the identity of the community, which
Paul’s eschatological rearrangement tries to strengthen again.
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Das stoische Denken war in der Antike häufig mit der provozierend
bedürfnislosen, programmatisch nonkonformistischen Lebensform des
Kynismus verbunden (50), was uns in das gesellschaftliche Leben von
Thessaloniki zurückführt: Die Passage 1 Thess 2,1-12 spielt deutlich
auf Sprache und Milieu kynisch-stoischer Wanderphilosophen an, die
demnach in der Stadt mit ihrer Lehre und Lebensweise bekannt
waren (51). Begegnungen mit stoischen Jenseitsvorstellungen sind dann
naheliegend.
Auf philosophischer Seite bleibt noch der Mittelplatonismus und
dessen bekanntester Vertreter Plutarch zu erwähnen, der eine
Unsterblichkeit der Seele vertritt. Bereits Platon stellte seine Reflexion
(unter Rückgriff auf Homer) auf eine mythologische Grundlage. Mit
dem Tod steigt die Seele (bzw. der Verstand als höchster Seelenteil)
nach oben in den Himmel, wobei eine Unterscheidung zwischen den
Seelen der Guten und der Übeltäter stattfindet, was die Möglichkeit der
Vergeltung impliziert und mit Läuterung und Strafort entfaltet. Die
damit verbundene Seelenwanderung, also eine neuerliche Inkarnation
der Seele (mit weitem zeitlichen Abstand: tausend Jahre nach Platon,
Phaidr. 249a; Rep. 615a), zielt auf den “Aufstieg†der Seele durch
rechtes Tun und letztlich die völlige Lösung des Verstandes/Geistes
von der Seele, was auf der höchsten Stufe eine “Vergottung†der Seele
bedeutet (52).
Ausgeprägte Jenseitshoffnungen spielten schließlich in Mysterien-
kulten eine bedeutende Rolle, in denen die Erfahrung von
Lebensgewinn, auch über die Todesgrenze hinaus, durch überlieferte
Mythen begründet und durch rituelle Inszenierung vermittelt wurde.
Bereits der homerische Demeter-Hymnus verspricht besonders den in
Mysterien Eingeweihten ein glückliches Geschick im Jenseits (Homer,
H. ad Cerem 473-483). Die Verheißung eines positiven, erfreulichen
Lebens nach dem Tod erfüllt eine soteriologische Funktion.
Archäologische Zeugnisse belegen, dass in Thessaloniki v.a. zwei
(50) KLAUCK, Umwelt, II,107-109.
(51) Vgl. das Material bei MALHERBE, Thessalonians, 134-163, und dessen
einflussreichen Aufsatz: DERS., “‘Gentle as a Nurse’. The Cynic Background to 1
Thess 2â€, NT 12 (1970) 203-217.
(52) Die Vorstellung der Seelenwanderung geht auf Pythagoras zurück. Dazu
C. RIEDWEG, “Seelenwanderungâ€, DNP 11 (2001) 328-330. Zur
Jenseitsvorstellung des Mittelplatonismus KLAUCK, Umwelt, II, 124, 133-139,
142; W. EISELE, “Jenseitsmythen bei Platon und Plutarchâ€, Lebendige Hoffnung
(Hrsg. M. LABAHN – M. LANG) (s. Anm. 1) 315-340; zu Platon LEHTIPUU,
“Imageryâ€, 142.