Hannes Bezzel, «Der Prophet als Bleilot. Exegese und Theologie in Amos 7.», Vol. 95 (2014) 524-545
The prophetic narrative Am 7,10-17 is understood as a text written for its present context, viz. the visions of Amos. Its intention is to explain the enigmatic Kn) in the third vision. Having been the subject of interpretation already in Am 7,9 and 9,1aa.4b, this time the Kn) is identified with the person of the prophet himself. Amos, the Kn), personifies the divine word. Therefore the text proves to be a Midrash which illustrates that innerbiblical exegesis and theology are closely related to each other in this particular case.
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DER PROPHET ALS BLEILOT. EXEGESE UND THEOLOGIE IN AMOS 7 533
Vorderseite eines hermeneutischen Grundproblems dar: Ist der
Text auf eine vorliterarische Wirklichkeit hin transparent zu
machen oder ist er primär selbst als geschichtlich gewachsene,
theologisch-literarische Entität wahrzunehmen? Im konkreten Fall
heißt das: Führt die Beobachtung, dass die Berufsbezeichnungen
in Am 7,14 singulär und rätselhaft sind, zu der Folgerung, eben
deswegen hier den “historischen Amos” greifen zu können, oder
bilden die Beobachtungen zu den literarischen Verknüpfungen und
Bezügen des ganzen Abschnitts den Ausgangspunkt, von dem aus
die Einzelzüge erklärt werden müssen? Der Maulbeerfeigenritzer
(~ymqX slwb) ließe sich dann als Bezug zur vierten Vision deuten
(s. u.), der Rinderhirt ( rqwb ) hätte dann womöglich eher die
“Baschanskühe” (!Xbh twrp) von 4,1 im Blick, als dass sich hier
alte Überlieferungen an den Brotberuf eines “historischen Amos”
erhalten hätten.
III. $na — Die crux in Am 7,7-8
Allerdings wirft eine Entscheidung zugunsten der literarischen
Argumentation und gegen die überlieferungsgeschichtliche Speku-
lation natürlich die Frage auf, warum jemand diese “unerfindbare”
Geschichte in das Prophetenbuch hätte hineinschreiben sollen. Sie
lässt sich meiner Meinung nach mit einem erneuten Blick auf die
dritte Vision und das bislang unübersetzt gebliebene Wort $na
beantworten. Bekanntlich liegt mit ihm ein hapax legomenon vor,
und das macht es schwer zu sagen, worum es sich dabei eigentlich
handelt. Die klassische Übersetzung ist “Blei” im Sinne eines
“Bleilots”, also Senkbleis, und nach Martha Campos geht sie auf die
sephardischen Rabbinen des zehnten Jahrhunderts, genauer: auf Ibn
Quraysh und Rashi zurück, die sie aus dem Arabischen herleiteten 39,
Noonan findet sie bereits bei Ephraim dem Syrer 40. Demnach
sieht Amos JHWH auf einer “Bleilotmauer” stehen, also auf einer
Mauer, die mit einem Bleilot ausgerichtet oder auszurichten ist —
39
Vgl. M.E. CAMPOS, “Structure and Meaning in the Third Vision of
Amos (7:7-17)”, Journal of Hebrew Scriptures 11 (2011) 1-21, 19.
40
Vgl. B.J. NOONAN, “There and Back Again: “Tin” or “Lead” in Amos
7:7-9?”, VT 63 (2013) 299-307, 301.