Wolfgang Schütte, «Die Entstehung der juda-exilischen Hoseaschrift», Vol. 95 (2014) 198-223
The book of Hosea was composed a short time after the Assyrian conquest of Israel and by a group of Israelites that had fled to Judah. The kernel of the book comes from a series of critical statements about cultic personnel and Israel's society. The book integrated later reflections on national guilt and tried to infuse religious hope to the Israelite refugees in Judah.
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denkende Adressaten richtet. So ist das Bild, mit dem die Hoseaschrift
die religiöse Situation im Land wiedergibt, religionsgeschichtlich eine
tendenziöse Zeichnung. Ihre Zustandsbeschreibung ist eine Interpre-
tation der erlebten Zeit. Was für sie Realität “ist”, war für Zeitgenossen
— und ist heute für Archäologen — durchaus strittig 34. Erst der Fort-
gang der Geschichte wird die Sicht von Hos 4,4 – 10,15 rechtfertigen,
als sie ermöglicht, neue Ereignisse in religiöse Erfahrungen zu inte-
grieren und ältere Einstellungen, die sich als ungeeignet erwiesen, zu
korrigieren. So reift theologische Erkenntnis mit der und durch die
Zeit. Die tendenziöse Darstellung der Hoseaschrift ist bei der folgen-
den Nachzeichnung ihrer Gedanken zu berücksichtigen.
Hos 4,4 – 10,15 bestreitet den Anspruch eines neuen ökonomi-
schen Denkens, das mit quasi göttlichem Machtanspruch das tradi-
tionelle Verständnis von Israels Gottesbeziehung trübt. Die
schriftprophetische Rede polemisiert gegen ein von ökonomischen
Erfolgen geprägtes Gottesverständnis und ein Selbstverständnis füh-
render Kreise in Israel, das von dem Machbaren geleitet wird 35. In
diesem neuen Denken bestimmt der Warenaustausch, das wechsel-
seitige Geben und Nehmen, die Beziehung (Hos 10,1). Gesellschaft-
lich erlaubt ist, was erfolgreich ist. Indem man auch von Israels Gott
Erfolg erwartet und seinen Kult am Erfolg partizipieren lässt, ver-
kehrt Israel unter der Hand JHWH zu einem “Baal”. Diese erst auf den
zweiten Blick erkennbare Verfehlung des wahren Gottes Israels
durch seine vornehmsten Anbetenden erschwerte die prophetische
Argumentation. Nicht eine leicht benennbare göttliche Konkurrenz,
sondern eine durch das althergebrachte Verständnis nicht mehr ge-
deckte, neue Gestaltung der Gottesbeziehung erschütterte Theologen
des JHWH-Kultes und provozierte die schriftprophetische Rede 36.
Die Schriftprophetenworte streichen heraus, dass Menschen dem
ethischen Anspruch Gottes in einer sehr veränderten Zeit nicht wirk-
lich gerecht werden. Es fehlt den direkt Angesprochenen und auch
anderen im Volk eine wirkliche Gotteserkenntnis (~yhla t[d), um
34
Eine Skizze der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Is-
raels und Judas vom 10.-8. Jh. v.Chr. bietet S.-H. HONG, The Metaphor of Illness
and Healing in Hosea and Its Significance in the Socio-Economic Context of
Eighth-Century Israel and Judah (SBL 95; New York 2006) 91-128.
35
Vgl. auch HONG, Metaphor, 148.151-152.
36
Zur hos. Kritik des religiösen Verantwortungsbewußtseins vgl. F.
CRÜSEMANN, “Hosea und die Entstehung des biblischen Geschichtsbildes”,
Kanon und Sozialgeschichte (Gütersloh 2003) 127-128.