Wolfgang Schütte, «Die Entstehung der juda-exilischen Hoseaschrift», Vol. 95 (2014) 198-223
The book of Hosea was composed a short time after the Assyrian conquest of Israel and by a group of Israelites that had fled to Judah. The kernel of the book comes from a series of critical statements about cultic personnel and Israel's society. The book integrated later reflections on national guilt and tried to infuse religious hope to the Israelite refugees in Judah.
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dernden Behauptung verdeutlicht die Gerichtsrede das völlige Sich-
entfremden von Mensch und Gott zu ihrer Zeit. Zur Gottvergessenheit
der Menschen wird die Abwesenheit Gottes treten (Hos 5,15 bwv).
Die prophetische Rede erschöpft sich jedoch nicht allein darin anzu-
prangern, wie sich die Beziehung von Gott und Mensch auflöst. Als
Rede, die sich von Gott beauftragt weiß, mündet ihre Argumentation
in das Werben um eine erneuerte Beziehung zu Gott; sie schließt mit
der Mahnung “es ist Zeit, JHWH zu suchen, bis er kommt, um qdc /
“das Rechte” auf euch regnen zu lassen” (Hos 10,12) 41. Wenn dann
abschließend den Adressaten nochmals Wirkungen ihres Versagens
vor Augen gestellt werden, so bestimmt der Gesamttext die zeitge-
schichtliche Stunde als “fünf vor zwölf”.
Eine Zukunftshoffnung für Israel wird in dieser Zeit einer ge-
genseitigen Entfremdung von Gott und Menschen allein in Hos
6,11 – 7,1 laut. Beide Verse werfen zwischen lauter Anklagen einen
kurzen Blick in eine neue Zeit und erhoffen von Gott eine Bekeh-
rung Israels zur Erkenntnis dessen, was es tut: wenn Gott Israel
heilt, wird alle seine Schuld offenbar sein (Hos 7,1). Die heilsame
Zukunft Gottes schließt ein, dass Unrecht und Schuld benennbar
wird. Die Gerichtsrede vermag nicht mehr zu hoffen, als dass ein
neuer Anfang die unheilige Vergangenheit nicht verschweigen
muss. Wo Schuld offen als Schuld benannt werden kann, da sind
Menschen von ihrem Tun abgekehrt, und sie beginnen eine neue
Zeit mit ihrem Gott.
Wenn Hos 6,11a.b die “Wende des Geschicks meines Volkes”
(ym[ twbv ybwv) mit einer “Ernte für Juda” verbindet, so bestehen
Zweifel, ob diese Aussage zur ursprünglichen Fassung von Hos
4,4 – 10,15 gehörte 42. Die Wendung “auch Juda” (hdwhy-~g) zeigt
eine typische Formulierung der “judäischen Redaktion” (vgl. Hos
5,5). Der Ausdruck “mein Volk” (ym[), bezogen auf dessen Gesamt-
heit, verweist bereits auf die juda-exilische Zeit von Hosea 1–2 43.
41
Es ist für die Hoseaschrift charakteristisch, dass Gottesrede und Schrift-
prophetenrede oft ineinander fließen. So verschmilzt in ihrer literarischen
Überlieferung Gottes- und Menschenwort.
42
NAUMANN, Erben, 50-58.
43
Als Bezeichnung des verführten Volkes: Hos 4,6.8.12; 11,7, insbeson-
dere des bedrückten Volkes: Mi 2,4.8.9; 3,3.5. Als Bezeichnung des Volkes
in seiner Gesamtheit: Hos 1,9; 2,1.3.25; Am 7,8.15; 8,2; 9,10.14; Mi 1,9;
6,3.5.16. ym[ ist stets ein Ehrentitel für Israel.