Wolfgang Schütte, «Die Entstehung der juda-exilischen Hoseaschrift», Vol. 95 (2014) 198-223
The book of Hosea was composed a short time after the Assyrian conquest of Israel and by a group of Israelites that had fled to Judah. The kernel of the book comes from a series of critical statements about cultic personnel and Israel's society. The book integrated later reflections on national guilt and tried to infuse religious hope to the Israelite refugees in Judah.
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Politik, des Glaubens und der sozialen Ordnung vom Autor keine
wirkliche Chance eingeräumt. Noch grimmigere Tiermetaphern (Hos
13,7-8 vgl. Hos 5,12.14) unterstreichen, dass aus schriftprophetischer
Sicht Gottes- und Selbsterkenntnis rar geworden ist.
Einzig Hos 12,7a eröffnet mit der alten Zusage an Jakob “du wirst
mit deinem Gott heimkehren” (bwv, vgl. Gen 28,15) eine Hoffnung.
Damit geht der Mahnung die Erwartung voraus, dass ein versöhntes
Gottesverhältnis grundsätzlich noch möglich ist. Aber sogleich folgt
Ephraims Erklärung, dass es sich keines schuldhaften Frevels be-
wusst sei (Hos 12,9). Literarisch ist in Hos 12,7 jedoch weder Jakob
noch Ephraim, sondern — im Anschluß an eine Doxologie (Hos
12,6) — auf der Metaebene des Textes der Adressat der Gerichtsrede
angesprochen. Hos 12,10 verdeutlicht, dass mit “du” in V. 7 kollektiv
eine Gemeinschaft angeredet ist. Schloß Hos 12,5b mit “dort redet
er mit uns”, so appelliert der Autor in erkennbarer Verbundenheit an
diese Gruppe 47. Auf diese Weise werden die Jakobsgeschichten rhe-
torisch einer Adressatengruppe zur Identifikation angeboten, um
ihnen neue geistliche Erkenntnis zu erschließen.
Die Aktualisierung der Jakobgeschichten und die ergänzende Mah-
nung durch Hos 12,5b.7b legen die Möglichkeit nahe, dass sich die
Adressaten, wie einst Jakob, in einer Fremde befanden und, wie auch
Jakob selbst (Hos 12,5b = Gen 35,7.9-15), nach Bethel zurückkehren
könnten. Doxologie und die direkte Anrede „du“ (im Stil der anony-
men Anrede innerhalb der zweiten Gerichtsrede) von Hos 12,6-7 wären
dann als Ausdruck einer Heimkehrhoffnung aus einem anderen Land
zu verstehen. Eine solche reale Flucht- oder Exilsituation war historisch
für Israeliten nach 720 und nach 586 v.Chr. gegeben.
Die exegetische Anfrage an Hos 12,5, ob die Fassung des ma-
soretischen Textes den ältesten Textbestand repräsentiert, bleibt be-
stehen 48. Wie bereits bei Hos 6,11 zu überlegen war, ist auch bei
47
Die Vermutung von J. ZIEGLER, Duodecim Prophetae (Septuaginta XIII;
Göttingen 1943) 129-130, statt wnm[ sei ein wm[ ursprünglicher, ist für die
Gottesrede des MT nicht zwingend. Für Hos 12,5 LXX repräsentiert Jakob
bereits das Volk Israel (vgl. Hos 11,1 LXX). Daher wird Jakobs Handeln in
der 3. Pers. Pl. formuliert. Nach der von MT abweichenden passivischen
Wendung der LXX (“dort wurde zu ihm gesprochen”) sollte daher in V. 7 das
Volk zu Gott (pro.j auvto,n) gesprochen haben.
48
J. JEREMIAS, Der Prophet Amos (ATD 24,1; Göttingen 1983) 148 Anm.
6, votiert mit ZIEGLER, Duodecim Prophetae, für die Ursprünglichkeit der LXX.