Wolfgang Schütte, «Die Entstehung der juda-exilischen Hoseaschrift», Vol. 95 (2014) 198-223
The book of Hosea was composed a short time after the Assyrian conquest of Israel and by a group of Israelites that had fled to Judah. The kernel of the book comes from a series of critical statements about cultic personnel and Israel's society. The book integrated later reflections on national guilt and tried to infuse religious hope to the Israelite refugees in Judah.
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“Es kehrt zurück zum Land Ägypten, und Assur, er ist sein König”.
Ebenso könnte die Negation in einem bekräftigenden Sinn (“wirk-
lich”) gebraucht sein 52. Für die Zeit der assyrischen Eroberung
Ägyptens unter Assarhaddon und Assurbanipal (ca. 669-652 v.Chr.)
ergäbe MT (“wirklich, es kehrt zurück … und Assur ...”) dann eben-
falls eine politische stimmige Aussage.
Der erneuten Negation aller Hoffnung auf ein sich änderndes Is-
rael (Hos 11,1-6) korrespondiert eine deutliche Negierung der Ne-
gation Israels durch Gott in Hos 11,9: “nicht vollstrecke ich meinen
glühenden Zorn, nicht kehre ich um, Ephraim zu verderben”. Gott
kehrt aus seiner Abwendung von Israel um (vgl. Hos 5,15 bwv), um
zu retten. Er betont seine Gottheit “... und bin kein Mensch” (Hos
11,9). Gott selbst erneuert seine Beziehung zu Israel und ermöglicht
damit eine neue Begegnung Israels mit seinem Gott.
Mit eruptiver Emotion artikuliert Hos 11,8-9 die unerklärliche
Wende, mit der Gott aus sich heraus einen Neuanfang setzt. Sie zeigt
sich für Menschen als ein gewaltiges Ringen Gottes mit sich selbst,
bei dem Gottes Treue über seinen Zorn die Oberhand behält. Die
Dramatik geht um so tiefer, als textlich bei der Wende zur Erneue-
rung der Beziehung mit V. 7 erneut die beharrliche Abkehrung Isra-
els von seinem Gott betont wird. Israel bleibt in seiner Verkehrung.
Israels Weigerung, seinen wahren Gott zu erkennen, und sein Ver-
langen, trotz allen Unheils dem vermeintlich Hohen nachzustreben,
versetzt es in einen freischwebenden Zustand: “aber mein Volk –
sie hängen in Abtrünnigkeit (hbwvm) von mir” (Hos 11,7). Was die
schriftprophetische Rede als Gottes- und Selbsterkenntnis be-
schreibt, wurde nur von Gott selbst und wenigen Menschen wie dem
Urheber von Hosea 11 erkannt. Gottes neuschöpferischem Akt geht
weder eine neue Einsicht Israels in Gottes Handeln noch eine wei-
terschreitende Selbsterkenntnis voraus. Die Mahnung von Hos 10,12
(vgl. Hos 12,7) hatte keinen Widerhall gefunden. Israel selbst blieb
mehrheitlich in seiner früheren Geisteshaltung. Hosea 11 beschreibt
damit theologisch eine historische Situation, die sich von jeder Exils-
konzeption nach 586 v.Chr. deutlich unterscheidet 53: eine Wende
bahnt sich trotz der Gottesblindheit Israels an.
52
Z.B. F.I. ANDERSEN – D.N. FREEDMAN, Hosea, 583-584.
53
Zu Jeremia 39–43, 2 Könige und 2 Chronik vgl. R. ALBERTZ, Die Exils-
zeit (Biblische Enzyklopädie 7; Stuttgart 2001) 13-22.