Wolfgang Schütte, «Die Entstehung der juda-exilischen Hoseaschrift», Vol. 95 (2014) 198-223
The book of Hosea was composed a short time after the Assyrian conquest of Israel and by a group of Israelites that had fled to Judah. The kernel of the book comes from a series of critical statements about cultic personnel and Israel's society. The book integrated later reflections on national guilt and tried to infuse religious hope to the Israelite refugees in Judah.
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die Gottesbeziehung in Treue (dsx) und Gerechtigkeit (hqdc) zu
leben (Hos 4,6; 5,4; 6,6; 10,12) 37. Diese fundamentale Störung der
Beziehung versperrt jede Hinkehr zu Gott, auch wenn sie vielfältig
gesucht wird (Hos 5,4 bwv). Der praktizierte Gottesdienst wird als
ein falscher, wirklich “hurerischer” Gottesdienst beschrieben, der
sich trotz Anrufung des Gottesnamens in Wahrheit zum “Nicht-
Hohen”, dem Götzen, kehrt (Hos 7,16 bwv) 38. Dies nicht zu erken-
nen, gilt als ein falscher Stolz (!wag), der es Menschen verwehrt zu
Gott zurückzukehren (Hos 7,10 bwv vgl. 5,5). Während die Einen
kurzfristige Erfolge mit einem Gottesdienst feiern (Hos 10,1) und
die Anderen Mißerfolge mit religiösen Bußaktionen wenden wollen
(Hos 6,1-3 bwv), sieht die Gerichtsrede, dass Gott — anders als Is-
rael selbst — sein Volk genau erkannt hat (Hos 5,3), sich darum in
dieser Zeit von seinem Volk abwendet und es seinem Tun preisgibt
(Hos 4,9 bwv). Sie beschreibt Gottes Abwenden mit gewagten, un-
gewöhnlichen Metaphern als schädigendes Tun an seinem Volk (Hos
5,12.14) 39. Damit fordern die schriftprophetischen Worte Gottes-
und Weltdeutungen ihrer Zeit heraus.
Das Ringen um Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis findet im
1. Gebot des Dekalogs eine gewichtige biblische Antwort. Dieses re-
ligiöse Grundbekenntnis zu Gott als dem Befreier aus Versklavung
bringen auch Hos 8,13; 9,3 kritisch in Anschlag. Die Mißachtung des
1. Gebotes muss zur Aufhebung des Aktes führen, der die Beziehung
zwischen Gott und Israel anfänglich begründete: “Israel wird nach
Ägypten zurückkehren” (bwv) 40. Mit dieser theologisch herausfor-
37
Vgl. H.W. WOLFF, “‘Wissen um Gott’ bei Hosea als Urform von Theo-
logie”, Gesammelte Studien zum Alten Testament (ThB 22; München 1973)
182-205, und zu Wolff mit notwendigen Korrekturen R.G. KRATZ, “Erkenntnis
Gottes im Hoseabuch”, Prophetenstudien (FAT 74; Tübingen 2011) 287-309.
38
Zur theologischen Metapher der “Hurerei” vgl. A.A. KEEFE, Woman’s
Body and the Social Body in Hosea (JSOTSS 338; London 2001).
39
Vgl. B. SEIFFERT, Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch
(FRLANT 166; Göttingen 1996).
40
Möglicherweise gründeten solche Äußerungen in Hos 4,4 – 10,15 ur-
sprünglich in profanen Überlegungen auf der Grundlage des Tun-Ergehen-Zusam-
menhangs, vgl. KRATZ, “Erkenntnis”, 300-301, und Hos 7,16; 9,6. Wenn jedoch
Hos 12,10; 13,4 redaktionsgeschichtlich auf gleicher Ebene wie Hos 8,13; 9,3
anzusiedeln sind, bestand bereits zur Zeit der beiden ältesten Textüberlieferungen
der Hoseaschrift eine Exodustheologie. Allerdings “ist es methodisch entschei-
dend, nicht das Geschichtsbild des kanonischen Alten Testaments als vorgegebe-
nen Bezugrahmen in Rechnung zu stellen” (CRÜSEMANN, “Hosea”, 125).