Stephan Witetschek, «Sankt Paul in Ketten. Zur Paulus-Ikonographie in der Apostelgeschichte und im Corpus Paulinum.», Vol. 96 (2015) 245-272
Chains or bonds are a standard feature of representations of Paul in early Christianity. In the narrative of Acts 21–28 they appear to be an element of literary iconography employed by 'Luke the painter'. This iconography begins with Paul himself, who interpreted his bonds as worn 'in Christ' (Phil 1,13) and himself as 'prisoner of Christ Jesus' (Phlm 1.9). The Deutero-Pauline Epistles follow suit: In Colossians and Ephesians the bonds appear as the iconographical attribute, while in 2 Timothy they are perceived and tackled as a problem. In any event, Paul is remembered as the Apostle in fetters.
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des Kunstwerkes, um die Komposition und Kombination der einzel-
nen Motive geht. Darauf baut schließlich die dritte Stufe auf, die
Ikonographie im tieferen Sinne bzw. die Ikonologie, die nach den
dem Bild zugrunde liegenden Grundhaltungen oder Prinzipien
fragt. Diese eigentlich nicht mehr analytische, sondern synthetische
Leistung bezeichnete Panofsky zunächst als Ikonographie im tieferen
Sinne 23, doch im Neuabdruck von 1955 führte er dafür den Begriff
“iconology” ein 24. Im Anschluss daran zerlegt etwa Roelof van
Straten diesen dritten Interpretationsschritt in zwei eigenständige
Vorgänge: die ikonographische Interpretation, die (kunsthistorisch)
nach der tieferen Bedeutung des Kunstwerkes fragt, wie sie vom
Künstler beabsichtigt wurde, und die ikonologische Interpretation,
die (kulturhistorisch) fragt, warum das Kunstwerk geschaffen
wurde und warum es gerade so geschaffen wurde 25. Bei letzterem
geht es also dezidiert um die geistesgeschichtlichen Bedingungen
und Kontexte des Kunstwerkes.
Im vorliegenden Beitrag wird jedoch nur ein Einzelmotiv des
Paulusbildes in der Apostelgeschichte betrachtet, die Fesseln bzw.
Ketten des Paulus. Insofern haben sich die oben angestellten Über-
legungen zunächst auf eine prä-ikonographische Sichtung des Bild-
materials beschränkt. Doch auch die ikonographische Analyse im
engeren Sinne wurde oben bereits angerissen, insofern die Bedeutung
dieses Motivs für das Paulusbild der Apostelgeschichte zur Sprache
kam. Eine im tieferen Sinne ikonographische bzw. ikonologische
Betrachtung ist jedoch im Rahmen dieses Beitrages nicht umfassend
zu leisten. Sie wäre gegeben, wenn man sich in einer umfassenden
Studie dem Paulusbild der Apostelgeschichte nebst seinen Hinter-
gründen widmete. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich indes
darauf, dieser Paulus-Ikonographie zuzuarbeiten.
Auf der Ebene dieser Vor- und Zuarbeit ist vor allem zu fragen,
ob und, wenn ja, warum es überhaupt zulässig sei, die Fesseln des
Paulus, die in der Apostelgeschichte verschiedentlich erwähnt werden,
als Sinn tragendes Element in eine ikonographisch-ikonologische
Betrachtung einzubeziehen. Anders gewendet: Was berechtigt zu
der Annahme, dass die Fesseln bzw. Ketten in der Apostelgeschichte
23
Cf. PANOFSKY, Studies in Iconology, 8.
24
Cf. PANOFSKY, Meaning in the Visual Arts, 30-31
25
Cf. VAN STRATEN, Einführung in die Ikonographie, 16.30-31.